Einsturz des Kölner Stadtarchivs: Verurteilung eines „Bauüberwachers“ wegen Verfahrensfehlers aufgehoben

Der Einsturz des Kölner Stadtarchivs aufgrund von Bauarbeiten hat bundesweit Schlagzeilen ausgelöst – zumal es bedauerlicher Weise Tote gab.

Die Aufarbeitung erfolgte natürlich auch durch die Strafgerichte wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Körperverletzung.

Das Landgericht Köln hat einen „Bauüberwacher“ wegen tateinheitlich begangener zweifacher fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat1.

Der Bundesgerichtshof hat dieses Urteil mit einer jetzt veröffentlichten Entscheidung wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben.

Warum?

Das angefochtene Urteil wurde am 12.10.2018 nach 48 Verhandlungstagen verkündet. Am 22.10.2018 bzw. 29.11.2018 wurden der Vorsitzende sowie die Beisitzer der Strafkammer in einem vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts rechtshängigen Verfahren als Zeugen vernommen. Ebenso wie im vorliegenden Verfahren war dort Gegenstand die Klärung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für den Tod von zwei Geschädigten im Zusammenhang mit dem Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln sowie zweier Wohngebäude am 03.03.2009. Als Zeugen haben die Richter Angaben zu dem Einlassungsverhalten der hiesigen Angeklagten gemacht. Das Urteil im vorliegenden Verfahren ist am 25.01.2019 abgefasst und mit den Unterschriften der drei Richter versehen zu den Akten gebracht worden.

Die Rüge, die Richter der Strafkammer seien gemäß § 22 Nr. 5 StPO von der Mitwirkung an der Unterzeichnung des Urteils ausgeschlossen gewesen (§ 338 Nr. 7 StPO), dringt durch. Die Richter waren aus Rechtsgründen gehindert, das Urteil zu unterschreiben.

Der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Rechtsverstoß begründet den absoluten  Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO.

Nach dieser Vorschrift ist ein Urteil unter anderem dann aufzuheben, wenn es nicht innerhalb der Absetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 und Satz 4 StPO vollständig – und damit einschließlich der Unterschriften sämtlicher an der Entscheidung beteiligten Richter (§ 275 Abs. 2 Satz 1 StPO) – zu den Akten gebracht ist2.
Ein Richter, der aus tatsächlichen Gründen seine Unterschrift nicht mehr leisten kann oder aus Rechtsgründen nicht mehr leisten darf, ist dabei grundsätzlich an der Unterschrift gehindert.

Eine solche Verhinderung aus Rechtsgründen liegt insbesondere auch dann vor, wenn der Richter nach § 22 StPO von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen ist. Einem ausgeschlossenen Richter ist jede weitere richterliche Tätigkeit in der betroffenen Sache verwehrt; der Ausschluss nach § 22 StPO wird kraft Gesetzes in dem Zeitpunkt wirksam, in dem der Ausschlussgrund entsteht und wirkt für die Zukunft. Eine weitere Tätigkeit des ausgeschlossenen Richters birgt – auch noch nach der Urteilsverkündung – die Gefahr eines Eingriffs in die Rechtspflege, die Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt; er kann durch seine Autorität die Gestaltung der Urteilsgründe bis zu deren vollständiger Absetzung maßgeblich beeinflussen.
Nach Eintritt des Ausschlussgrundes ist dem Richter eine – rechtskonforme – Herstellung der Urteilsgründe ebenso wenig möglich wie die Teilnahme an einer Fassungsberatung oder die Urteilsunterzeichnung. Gleichwohl getätigte Amtshandlungen sind fehlerhaft; dies wird regelmäßig zu bedenken sein, wenn die Gerichtsverwaltung um eine Aussagegenehmigung für einen noch mit der Absetzung der Urteilsgründe in derselben Sache befassten Richter ersucht wird2.

Hieran gemessen ist das Urteil nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht vollständig innerhalb der mit dem 25.01.2019 abgelaufenen Urteilsabsetzungsfrist zu den Akten gelangt, da der Vorsitzende sowie die Beisitzer der Strafkammer nach ihren Zeugenvernehmungen vom 22.10.2018 und 29.11.2018 in dieser Sache von der weiteren Ausübung des Richteramts gemäß § 22 Nr. 5 StPO ausgeschlossen und aus rechtlichen Gründen an der Leistung der Unterschrift gehindert waren.
Angesichts ihrer Aussagen im Parallelprozess zur Einlassung der Angeklagten in hiesigem Verfahren sind sie zu demselben Tatgeschehen im Sinne der Vorschrift förmlich als Zeugen vernommen worden3. Ihre Bekundungen erfassten auch Fragen, die im Hinblick auf die Schuld- und Straffrage in den im hiesigen Verfahren abzusetzenden Urteilsgründen in tatsächlicher sowie rechtlicher Hinsicht zu bewerten waren.

Da sämtliche Richter der Strafkammer im Parallelverfahren als Zeugen vernommen worden und damit kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen waren, bestand im Übrigen auch keine Möglichkeit, einen Verhinderungsvermerk nach § 275 Abs. 2 Satz 2 StPO anzubringen, da hierzu nur diejenigen Richter berufen sind, die an der Hauptverhandlung teilgenommen haben4.

Der aufgezeigte Rechtsfehler entzieht dem Urteil die Grundlage; es war daher mit den Feststellungen aufzuheben. Die Sache bedarf insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.10.2021 – 2 StR 418/19

ECLI:DE:BGH:2021:131021B2STR418.19.0

Anmerkung:

Wie auch immer zu diesem Fehler gekommen sein mag: So ein Fehler darf nicht passieren. Die Folge ist, dass das Verfahren gegen den Angeklagten vor einer anderen Kammer komplett neu aufgerollt werden muss…

Andererseits zeigt die Aufhebung des Urteils auch, dass die Justiz insoweit funktioniert und, dass man immer gut beraten ist, einen Rechtsanwalt zu konsultieren,

  1. LG Köln, Urteil vom 12.10.2018 – 115 Js 307/17 110 KLs 9/17 81 Ss 43/19 []
  2. BGH, Beschluss vom 04.10.1989 ‒ 3 StR 155/89 [] []
  3. BGH, Beschluss vom 22.05.2007 – 5 StR 530/06, NStZ 2007, 711 []
  4. BGH, Beschluss vom 12.05.1993 – 2 StR 191/93 []

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