Der türkische Staatspräsident Erdogan hatte zunächst vor dem Landgericht Köln erfolglos den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Vorstandsvorsitzenden des Springer Verlags, Mathias Döpfner, beantragt.
Döpfner hatte auf der Internetseite der Zeitung „Die Welt“ seine Solidarität mit Jan Böhmermanns „Schmähgedicht“ bekundet und in einem „PS“ erklärt, er wolle sich „vorsichtshalber allen Ihren Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz anschließen und sie mir in jeder juristischen Form zu eigen machen.“
Hiergegen hat sich der türkische Staatspräsident mit der Beschwerde an das Oberlandesgericht Köln gewandt und auch diese verloren.
Mit dem Landgericht Köln1 ist das Oberlandesgericht Köln der Auffassung, dass Erdogan keinen Anspruch auf die haupt- und hilfsweise begehrte Unterlassung aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK hat.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Köln hat das Landgericht Köln den von Döpfner am 10.04.2016 auf „x.de“ veröffentlichten „offenen Brief“ zuvorderst als eine Stellungnahme zur (rechtlichen) Zulässigkeit des Beitrages von Böhmermann aus dessen Sendung „O“ vom 31.03.2016 bewertet und damit als zulässige Meinungsäußerung angesehen.
Dem entspricht, dass Erdogan in seinem Schriftsatz vom 05.05.2016 sein Begehren dahin formuliert hat, Döpfner zu untersagen, „die Äußerungen von Herrn C […] „öffentlich gutzuheißen und dadurch selbständig und unabhängig von Herrn C das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragsteller zu verletzen.“ Ein solches Gutheißen stellt eine in Ansehung der Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG zulässige Meinungsäußerung dar.
Die vom Antragsteller angegriffene und im „PS“ des „offenen Briefes“ enthaltene Äußerung ist darüber hinaus unter der gebotenen Berücksichtigung des für ihr Verständnis maßgebenden Kontextes2 weder eine Beleidigung noch haftet der Antragsgegner auf Unterlassung wegen eines mit ihr verbundenen „Zu-Eigen-Machens“ im pressrechtlichen Sinne.
Dass Döpfner ihn durch eigene Äußerungen beleidigt hat, macht Erdogan nicht geltend; Döpfner hat mit seinem „offenen Brief“ auch keine eigenen Beleidigungen von Erdogan ausgesprochen.
Ebenso wenig hat Döpfner sich den in Bezug genommenen Beitrag von Böhmermann im presserechtlichen Sinne durch die vorbezeichnete Äußerung zu Eigen gemacht3.
Der „offene Brief“ von Döpfner richtet sich nicht an Erdogan, sondern an die Öffentlichkeit. Döpfner geht es mit diesem in der Sache darum, kundzutun, dass er das „Gedicht“ in der von Böhmermann vorgetragenen Form für Satire und die „Formulierungen und Schmähungen“ deswegen in Ansehung der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Meinungs- und Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 GG für zulässig hält. Daneben bringt Döpfner zum Ausdruck, dass er diejenigen Reaktionen in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion auf das „Gedicht“ von Böhmermann für verfehlt hält, die eben dieses und Böhmermann kritisieren, insbesondere vor dem Hintergrund desjenigen, was sie ansonsten für zulässig halten und in der Gesellschaft für zulässig erachtet wird.
Mit diesen Meinungen befasst sich nahezu der gesamte Beitrag von Döpfner. Das – demgegenüber nur marginale – mit dem angegriffenen Satz im PS „vorsichtshalber“ erfolgte „Anschließen“ und „in jeder Form zu Eigen machen“ dient im Gesamtkontext des Beitrages dem Zweck, die vorbenannten Meinungsäußerungen zu bestärken. Damit stellt sich die Situation – anders als Erdogan meint – gerade nicht so dar, als stehe Döpfner bildlich neben einer Person, die einen anderen beleidigt, und schließe sich deren Beleidigungen – ohne jeden Kontext – an.
Unabhängig davon, ob Erdogan bekannt ist, wie die Äußerungen „anschließen“ und „in jeder juristischen Form zu Eigen machen“ im Pressrecht verstanden werden, ist ein Verständnis in diesem Sinne aus Sicht eines durchschnittlichen Rezipienten jedenfalls fernliegend.
Döpfner weiß, dass er – was im nächsten Satz folgt und dann mit dem nachfolgenden Satz noch auf die Spitze getrieben wird – Böhmermann selbst nicht „vor Gericht kennen lernen“ wird, wenn er sich dessen Beitrag zu Eigen macht. Schon gar nicht wird Erdogan als „Fachgutachter für die Grenzen satirischer Geschmacklosigkeit berufen“, was deutlich macht, dass es Döpfner nicht darum geht, gleichsam eine juristische Auseinandersetzung mit Erdogan (an der Seite von Böhmermann) zu erzwingen, sondern sich bildlich in der Diskussion an die Seite von Böhmermann zu stellen, was im Übrigen auch im Titel des Beitrages „Solidarität mit Böhmermann!“ zum Ausdruck kommt.
Zugleich ist zu berücksichtigen, dass bei einer – wie hier4 – satirischen Äußerung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zwischen deren Aussagekern und der satirischen Einkleidung zu unterscheiden ist5.
Der Kern der Aussage von Böhmermann ist eine zulässige Meinungsäußerung, nämlich die kritische Bewertung des Verhältnisses des Antragsstellers zur Meinungs- und Pressefreiheit sowie dessen Reaktion auf einen Beitrag in der Sendung „F“4. Ob Döpfner sich diesen zu Eigen gemacht hat, kann deswegen dahin stehen.
Den Wortlaut der „Gedichts“ als solchen hat sich Döpfner nicht zu Eigen gemacht. Zum einen hat Döpfner das „Gedicht“ und dessen Wortlaut nicht wiedergegeben, auch nicht durch den Begriff „Ziegenficker“, weil damit lediglich der Beitrag von Böhmermann beschreibend in Bezug genommen und nicht Erdogan bezeichnet wird („In Deutschland brach eine Art Staatskrise aus, nur weil Sie Herrn F als ‚Ziegenficker‘ bezeichnet haben.“). Zum anderen und vor allem geht es Döpfner in der Sache erkennbar darum, kundzutun, dass er das „Gedicht“ in der von Böhmermann vorgetragenen Form für Satire und die „Formulierungen und Schmähungen“ deswegen in Ansehung der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen aus Art. 5 GG für zulässig hält. Unter dieser Prämisse kann und will er sich aber die „Formulierungen und Schmähungen“ nicht ohne die satirische Einkleidung und den Kontext zu Eigen machen, weil ohne diese und in einem anderen Kontext eben gerade nicht dieselbe rechtliche Bewertung geboten ist. Weder macht Erdogan geltend, noch ist dem „offenen Brief“ von Döpfner ansonsten zu entnehmen, dass Döpfner behaupten will, dass man oder er Erdogan ohne die satirische Einkleidung wie geschehen bezeichnen dürfe.
Schließlich hat Döpfner sich aber auch nicht die satirische Einkleidung und den sonstigen Kontext des Gedichts zu Eigen gemacht. Dabei kann dahin stehen, ob – wie das Landgericht meint – ein Zu-Eigen-Machen einer fremden Äußerung im presserechtlichen Sinne6 grundsätzlich die eigene Veröffentlichung ‑ mithin Wiedergabe bzw. Wiederholung – eben dieser Äußerung erfordert. Jedenfalls das Zu-Eigen-Machen einer satirischen Einkleidung und des sonstigen Kontextes ist nach Auffassung des Oberlandesgerichts Köln nur möglich, wenn insbesondere die satirische Einkleidung selbst veröffentlicht, also wiederholt oder ‑ was kaum vorstellbar ist – in ihrem Kontext so präzise beschrieben wird, dass der Rezipient die Satire und deren Kontext unmittelbar versteht. Daneben spricht das Fehlen einer Wiederholung des Beitrages von Böhmermann auch tatsächlich gegen ein Zu-Eigen-Machen im vorgenannten Sinne. Wenn Döpfner sich nämlich das „Gedicht“ inklusive der satirischen Einkleidung hätte zu Eigen machen wollen, hätte es – gerade weil sein offener Brief im Internet veröffentlich wurde – nahe gelegen, den Beitrag von Böhmermann in den „offenen Brief“ einzubetten oder jedenfalls ausdrücklich zu verlinken; dass eben dies nicht geschehen ist, spricht deswegen gerade gegen ein Zu-Eigen-Machen des Gedichts und der satirischen Einkleidung.
Die Unterlassung einer (schlichten) Verbreitung des Beitrages von Böhmermann über einen Link im „offenen Brief“ von Döpfner, der auf einen anderen Beitrag auf „x.de“ verweist, in dem sich wiederum ein Link findet, der ‑ ohne dies ausdrücklich zu kennzeichnen – auf eine Website verweist, auf der der Beitrag von Böhmermann abgerufen werden kann, hat Erdogan nicht begehrt.
Deswegen kann dahin stehen, ob eine solche Verlinkung überhaupt ein Verbreiten im presserechtlichen Sinne ist, wenn die Verlinkung über eine Art Surface-Link „versteckt“ erfolgt und zugleich der Beitrag von Böhmermann ohne Mehraufwand über die üblichen Suchmaschinen zu finden ist. Dahin stehen kann auch, ob Döpfner überhaupt für die Verlinkung verantwortlich ist.
Zuletzt braucht nicht geklärt zu werden, wie es sich auswirkt, dass die Verbreitung einer rechtswidrigen Satire im Zuge einer – wie hier – kritischen Auseinandersetzung mit deren rechtlicher Zulässigkeit von der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt sein kann7.
Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 21.06.2016 – 15 W 32/16
- LG Köln, Beschluss vom 10.05.2016 – 28 O 126/16 [↩]
- BGH, Urteil vom 12.04.2016 ‑ VI ZR 505/14 [↩]
- BGH, Urteil vom 17.11.2009 – VI ZR 226/08 [↩]
- LG Hamburg, Beschluss vom 17.05.2016 – 324 O 255/16 [↩] [↩]
- BVerfG, Beschluss vom 14.02.2005 – 1 BvR 240/04 [↩]
- BGH, Urteil vom 17.11. 2009 – VI ZR 226/08 [↩]
- LG Berlin, Urteil vom 19.11.1996 – 27 0 381/96 [↩]