Unser Strafgesetzbuch hält aus guten Gründen den „Volksverhetzungsparagraf“ vor, nämlich § 130 StGB.
§ 130 Abs. 1 StGB lautet:
„Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder
2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“
Wie ist es nun zu beurteilen, wenn eine Person pauschal Frauen auf einer von ihm eingerichteten Internetseite u.a. als „Menschen zweiter Klasse“, „minderwertige Menschen“ und „den Tieren näherstehend“ bezeichnet?
Fällt das unter „Volksverhetzung“?
Das Amtsgericht Bonn hatte diese Frage bejaht und den Angeklagten zu einer Geldstrafe von 55 Tagessätzen verurteilt.
Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Bonn diesen aus Rechtsgründen freigesprochen. Es hat die Auffassung vertreten, dass § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB nur Gruppen schütze, die durch ihre politische oder weltanschauliche Überzeugung oder ihre sozialen oder wirtschaftlichen Verhältnisse, ihren Beruf oder ihre soziale Funktion erkennbar seien. Eine geschlechtsspezifische Bestimmung nehme die Norm dagegen nicht vor. Die Gesetzgebungsgeschichte zeige, dass der allgemeine Geschlechterschutz von der Norm gerade nicht beabsichtigt sei.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat das Oberlandesgericht Köln den Freispruch aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
§ 130 StGB greift nach Auffassung des Oberlandesgerichts Kön auch bei der pauschalen Verunglimpfung von Frauen ein. Zwar ist der Hauptanwendungsbereich der Vorschrift der Schutz von Minderheiten, das Gesetz erfasst aber nach Wortlaut, Sinn und Zweck auch Angriffe auf die Menschenwürde von Frauen, so das Oberlandesgericht Köln.
Zu den von § 130 StGB geschützten „Teilen der Bevölkerung“ zählten nämlich auch Frauen. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut des Gesetzes, der Auslegungshistorie, der Systematik und aus dem Zweck der Vorschrift.
Zwar werde in der juristischen Fachliteratur vereinzelt argumentiert, dass die Vorschrift nur dem Minderheitenschutz dienen solle, und aus diesem Grund die Vorschrift für Frauen als statistische Mehrheit der Bevölkerung nicht anwendbar sei. Dafür könne als Argument ins Feld geführt werden, dass Angehörige der Mehrheitsbevölkerung von Anderen nichts zu befürchten hätten, weil ihnen alleine die zahlenmäßige Überlegenheit genügend Schutz biete.
Eine solche Konzeption findet nach Auffassung des Oberlandesgerichts Köln aber im Gesetzeswortlaut keinen Ausdruck. Im Übrigen könne die Rechtsanwendung kaum von Zufälligkeiten der (möglicherweise wechselnden) Majoritätenbildung abhängig gemacht werden. Auch zeige die Historie der Vorschrift eine Entwicklung zu einem umfassenden „Anti-Diskriminierungstatbestand“ auf. Der in den Schutzbereich einbezogene Teil der Bevölkerung sei keineswegs anhand der ausdrücklich erwähnten Merkmale beschränkt. Zwar möge der Hauptanwendungsbereich der Vorschrift in der Praxis nach wie vor im Bereich rechtsradikaler Hetze gegen Minderheiten liegen. Unter die Vorschrift fielen aber auch diskriminierende Äußerungen gegen Frauen.
Da der Angeklagte mit seinen Äußerungen Frauen unter Missachtung des Gleichheitssatzes als unterwertig dargestellt und ihre Menschenwürde angegriffen habe, sei davon auszugehen, dass er den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt habe.
Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 09.06.2020 – III-1 RVs 77/20
Anmerkung:
So widerlich die Äußerungen auch sein mögen: Ob das unter die o.g. Vorschrift zur „Volksverhetzung“ zu subsumieren ist und dies so gedacht war …?