Im Jahr 2017 wurde der sogenannte „Raserparagraf“ (§ 315d StGB) in das Strafgesetzbuch eingefügt:
(1) Wer im Straßenverkehr
1. ein nicht erlaubtes Kraftfahrzeugrennen ausrichtet oder durchführt,
2. als Kraftfahrzeugführer an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen teilnimmt oder
3. sich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Wer in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 2 oder 3 Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 strafbar.
(4) Wer in den Fällen des Absatzes 2 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(5) Verursacht der Täter in den Fällen des Absatzes 2 durch die Tat den Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
Wie sieht es nun aus, wenn sich ein Autofahrer von einer Zivilstreife der Polizei, die er angeblich nicht als solche erkannt hat, bedroht fühlt und mit weit überhöhter Geschwindigkeit durch die Stadt braust?
Das Oberlandesgericht Köln ist nun zu dem Ergebnis gekommen, dass die grob verkehrswidrige und rücksichtslose Flucht vor einem anderen Kraftfahrzeug als illegales Kraftfahrzeugrennen gem. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar sein kann.
In dem entschiedenen Fall war der zur Tatzeit 28-jährige Angeklagte aus Aachen gegen drei Uhr nachts mit seinem Renault in Aachen unterwegs zu einem Club. Er war mit mindestens 1,3 Promille alkoholisiert, als sich eine Zivilstreife hinter sein Fahrzeug setzte.
Nach seiner nicht widerlegten Einlassung erkannte der Angeklagte nicht, dass es sich um Polizisten in Zivil handelte, sondern er fühlte sich durch das Fahrzeug bedroht. Um zu entkommen, steigerte er seine Geschwindigkeit. Auf der Flucht erreichte er mindestens 140 km/h, obwohl nur 70 km/h erlaubt waren. Nach einem Abbiegevorgang konnte er gestellt werden.
Amts- und Landgericht Aachen hatten den Angeklagten zwar wegen Trunkenheitsfahrt, nicht aber wegen Verstoßes gegen den neuen „Raserparagrafen“ (§ 315d StGB) zu einer Geldstrafe nebst Entzug der Fahrerlaubnis verurteilt. Das Landgericht hat dabei die Auffassung vertreten, dass ein Kraftfahrzeugrennen nicht vorliege, weil der „Wettbewerbscharakter“ eines Rennens nicht gegeben sei.
Auf die Revision der Staatsanwaltschat hat das Oberlandesgericht Köln das Urteil nun insoweit aufgehoben und die Sache an das Landgericht Aachen zurückverwiesen.
Zur Begründung hat das Oberlandesgericht Köln im Wesentlichen ausgeführt, dass eine Verurteilung wegen § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB durchaus in Betracht komme. Die Vorschrift sei nicht nur verfassungsgemäß, sondern sie solle auch gerade die Fälle erfassen, in denen nur ein einziges Fahrzeug beteiligt sei, da es in dieser Variante des Gesetzes keines „Gegners“ bedürfe. Zwar seien bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen nicht erfasst. Für eine Strafbarkeit sei erforderlich, dass der Täter grob verkehrswidrig und rücksichtslos fahre und in der Absicht handeln, die in der jeweiligen Situation höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dabei müsse – wie auch das Oberlandesgericht Stuttgart bereits entschieden habe – es nicht Haupt- oder Alleinbeweggrund für die Fahrt sein, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erzielen. Das Bestreben, möglichst schnell voranzukommen, könne auch von anderen Zielen begleitet sein, etwa den Beifahrern zu imponieren, die Fahrzeugleistung zu testen oder verfolgende Fahrzeuge abzuhängen. Auch in diesem Fall gehe der Renncharakter nicht verloren. Nach diesen Maßstäben sei auch die Tat des Angeklagten von einem spezifischen Renncharakter geprägt, in dem sich die besonderen Risiken für den Straßenverkehr und seine Teilnehmer wiederfänden. Ziel eines „Wettbewerbs“ in diesem Sinne sei nicht der bloße Sieg, sondern die gelungene Flucht gewesen. Hinsichtlich des Risikos sei das Geschehen mit einem sportlichen Wettbewerb vergleichbar.
Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 05.05.2020 – III-1 RVs 45/20