Seit Jahren wird über den WCCB-Skandal in Bonn und die Frage diskutiert, wer für was verantwortlich ist.
Das Verwaltungsgericht Köln hat nun entschieden, dass die Bundesstadt Bonn (Klägerin) von ihrer ehemaligen Oberbürgermeisterin, Barbara Dieckmann, sowie dem ehemaligen Stadtdirektor, Arnold Hübner, wegen deren grob fahrlässigen Verletzungen beamtenrechtlicher Dienstpflichten im Zusammenhang mit der Errichtung des World Congress Centers Bonn (WCCB) Schadensersatz in Höhe von jeweils 1 Mio. Euro erhält.
Der Rat der Bundesstadt Bonn hatte 2018 in Zusammenhang mit der Aufarbeitung des WCCB-Skandals beschlossen, gegen insgesamt fünf Beschäftigte Schadensersatzklagen zu erheben. Da es sich bei der damaligen Oberbürgermeisterin und dem ehemaligen Stadtdirektor um kommunale Wahlbeamte handelte, hatte das Verwaltungsgericht Köln über den geltend gemachten Anspruch in Höhe von jeweils 1 Mio. Euro zu entscheiden.
Worum ging es?
Das Verwaltungsgericht Köln hat den Sachverhalt im Wesentlichen wie folgt festgestellt:
Bereits im Jahr 2002 wurde in einem Staatsvertrag die Errichtung eines Tagungszentrums vereinbart. Dieses sollte den Vereinten Nationen zeitweise zur Verfügung gestellt und von einem privaten Unternehmen gebaut werden. Die Bundesstadt Bonn schloss im Juli 2005 mit der SMI, die sich wahrheitswidrig als zugehörig zum Konzernverband Hyundai ausgab, einen Projektvorvertrag. Die daraufhin von der SMI als Projektträgerin gegründete UNCC GmbH erstellte ein Finanzierungskonzept, wonach sich die Projektkosten auf ca. 150 Mio. Euro beliefen. Neben einem Zuschuss des Landes NRW sollten ca. 104 Mio. Euro über ein Darlehen bei der Sparkasse KölnBonn vorfinanziert werden. Das als Multifunktionskredit bezeichnete Darlehen bestand aus einer kurzfristigen Aufbaufinanzierung und einem langfristigen Darlehen. Die kurzfristige Aufbaufinanzierung sollte nach einer Sondertilgung aus dem Eigenkapital der UNCC GmbH durch ein langfristiges Darlehen abgelöst werden. Einen ersten Kreditantrag der UNCC GmbH lehnte die Sparkasse KölnBonn wegen zu hoher Risiken ab. Erst als die Stadt Bonn ihre Bereitschaft signalisierte, ggf. für die Verbindlichkeiten der UNCC GmbH einzustehen, und die UNCC GmbH zusagte, ihren Eigenkapitalanteil auf 40 Mio. Euro zu erhöhen, gab die Sparkasse KölnBonn schließlich doch eine Kreditzusage. Ende 2005 beschloss der Rat der Bundesstadt Bonn die Ermächtigung zum Abschluss des Projektvertrags mit der UNCC GmbH und ermächtigte die Oberbürgermeisterin, mit der Sparkasse KölnBonn eine Vereinbarung für den sogenannten „Heimfall“ abzuschließen. In dieser ersten Nebenabrede verpflichtete sich die Bundesstadt Bonn für den Fall, dass sich das Kreditrisiko bezogen auf die UNCC GmbH realisiert, für bestehende Restvaluten aus dem langfristigen Darlehen in Höhe von 74,3 Mio. Euro einzustehen. Die Bezirksregierung Köln erhob keine Einwendungen gegen diese Nebenabrede. Im März 2006 schlossen die Bundesstadt Bonn und die UNCC GmbH den Projektvertrag, indem sich letztere verpflichtete, 40 Mio. Euro Eigenkapital einzubringen. Neben einem Stammkapital in Höhe von 10 Mio. Euro sollte eine Bankbürgschaft in Höhe von 30 Mio. Euro zur Absicherung vorgelegt werden. Bis Ende 2006 gelang es der UNCC GmbH allerdings nicht, die Bankbürgschaft vorzulegen. Anfang 2007 wurde eine Einigung zwischen der Sparkasse KölnBonn und der SMI über erleichterte Kreditbedingungen erzielt, wonach die Sparkasse KölnBonn auf die Erbringung einer Bankbürgschaft verzichtete. Stattdessen sollte das Eigenkapital um 10 Mio. Euro erhöht werden, was im Februar 2007 auch erfolgte. Diese 10 Mio. Euro Eigenkapitalerhöhung stammten von der Arazim Investments Ltd., die gegen Abtretung der Mehrheitsanteile an der UNCC GmbH die Eigenkapitalsumme zur Verfügung stellte.
Im März 2007 wurde dann der Kreditvertrag unterzeichnet und eine geänderte (zweite) Nebenabrede zwischen der Bundesstadt Bonn und der Sparkasse vom damaligen Stadtdirektor Hübner und dem Kämmerer Prof. Sander unterzeichnet. Weder der Rat noch die Bezirksregierung Köln wurden mit der Angelegenheit befasst. Diese zweite Nebenabrede beschränkte die Einstandspflicht nicht nur auf das langfristige Darlehen, welches die Aufbaufinanzierung ablösen sollte, sondern umfasste auch die Aufbaufinanzierung selbst in Höhe von 74,3 Mio. Euro. Ende 2007 mussten aufgrund von Baukostensteigerungen weitere 20 bis 30 Mio. Euro von der UNCC GmbH finanziert werden. In diesem Zusammenhang sollte weiteres Eigenkapital in Höhe von 10 Mio. Euro eingezahlt und die Honua Securities Co. Ltd. als neuer Investor gewonnen werden. Dieser wurden deshalb Geschäftsanteile an der UNCC GmbH übertragen, die jedoch bereits an die Arazim Investments Ltd. übergegangen waren. Nachdem die weiteren 10 Mio. Euro jedoch nicht als Eigenkapital eingebracht wurden, erklärte die Sparkasse KölnBonn, dass weitere Auszahlungen aus dem Kredit nur mit Zustimmung der Klägerin erfolgen sollten. Es folgten mehrere Zustimmungen der Klägerin zu weiteren Auszahlungen aus der Kreditsumme. Im Februar 2008 teilte die Arazim Investments Ltd. der Sparkasse KölnBonn mit, dass sie zu 94 % Anteilseigner an der UNCC GmbH sei. Ende 2008 ergaben sich weitere Kostensteigerungen in Höhe von ca. 40 Mio. Euro. Die Sparkasse KölnBonn wollte aufgrund der neuen Deckungslücke und der Rechtsunsicherheit in Bezug auf die Geschäftsanteile der UNCC GmbH eine Erhöhung der Nebenabrede um 60 Mio. Euro.
Anfang Mai 2009 beschloss der Rat der Bundesstadt Bonn, die Verwaltung zu ermächtigen, der Übertragung der Mehrheitsanteile der UNCC GmbH an die Honua Securities Co. Ltd. sowie einer Änderung der bestehenden Nebenabrede zuzustimmen.
Den Ratsunterlagen war nicht ausdrücklich zu entnehmen, dass eine Auseinandersetzung um die Anteilseignerschaft an der UNCC GmbH geführt wurde. Ebenso wurde nicht klargestellt, dass sich die Erweiterung der Einstandspflicht nicht nur auf „frische“ Liquidität bezog, sondern auch das bisher nicht eingebrachte Eigenkapital umfasste.
Im Juli 2009 unterzeichnete die damalige Oberbürgermeisterin Dieckmann die Zusatzvereinbarung zur Nebenabrede mit der Sparkasse Köln Bonn. Daraufhin wurde ein weiterer Kreditvertrag zwischen der UNCC GmbH und der Sparkasse KölnBonn über 30 Mio. Euro geschlossen. Nachdem zivilgerichtlich die Ansprüche der Arazim Investments Ltd. bezogen auf die Anteilsinhaberschaft an der UNCC GmbH festgestellt worden waren, zog sich die Honua Securities Co. Ltd. als Investor zurück, worauf die Sparkasse KölnBonn im September 2009 den Kreditvertrag kündigte. Ende 2009 wurden die Bauarbeiten eingestellt und drei Jahre später entschloss sich die Bundesstadt Bonn, dass WCCB in eigener Trägerschaft zu errichten. Die Bauarbeiten zur Fertigstellung begannen Anfang 2014 und endeten im Mai 2015. Seit Juni 2015 ist das WCCB in Betrieb.
Die Urteile:
In seinen Urteilen hat das Verwaltungsgericht Köln festgestellt, dass sowohl die ehemalige Oberbürgermeisterin als auch den damaligen Stadtdirektor eine Pflicht zum Schadensersatz treffe, da sie grob fahrlässig die ihnen obliegenden Pflichten verletzt hätten und dadurch der Klägerin ein kausaler Schaden entstanden sei.
I. Verfahren gegen den damaligen Stadtdirektor, Arnold Hübner
Der damalige Stadtdirektor Hübner hat nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Köln grob fahrlässig gegen seine Dienstpflichten verstoßen, indem er am 19. März 2007 die zweite Nebenabrede unterzeichnet habe. Die mit dieser Nebenabrede bewirkte Haftungsausweitung auf das von der Sparkasse KölnBonn vorfinanzierte Eigenkapital sei durch keinen Ratsbeschluss – insbesondere nicht durch den Beschluss aus dem Jahr 2005 – gedeckt gewesen. Zudem sei diese Nebenabrede auch der Bezirksregierung Köln nicht angezeigt worden. Der ehemalige Stadtdirektor habe gewusst, dass es nicht dem Willen des Rates entsprach, die Haftung für einzubringendes Eigenkapital zu übernehmen. Er habe auch von den Problemen bei der Erbringung der Bankbürgschaft und den Hintergründen der Vereinbarung zu den erleichterten Kreditvoraussetzungen jedenfalls wissen müssen. Besonders schwer wiege, dass er sich über rechtliche Bedenken anderer Beamten aus der Kämmerei hinweggesetzt habe. Ob auch andere Bedienstete ein Mitverschulden treffe, sei für seine Haftung unerheblich. Die Pflichtverletzungen seien für den Schaden kausal gewesen. Eine Vorteilsausgleichung oder sonstige anrechenbare Vorteile ließen den Anspruch nicht entfallen. Schließlich habe der Beklagte auch wirksam auf die Einrede der Verjährung verzichtet.
II. Verfahren gegen die damalige Oberbürgermeisterin, Barbara Dieckmann
Die damalige Oberbürgermeisterin Dieckmann habe, so das Verwaltungsgericht Köln, ihre Dienstpflichten verletzt, indem sie am 9. Juli 2009 die Zusatzvereinbarung zur Nebenabrede unterzeichnet habe, mit der die Einstandspflicht um weitere 30 Mio. Euro erhöht worden sei. Zwar habe der Rat der Bundesstadt Bonn die Beklagte zum Abschluss dieser Nebenabrede ermächtigt. Dieser Ratsbeschluss sei jedoch rechtswidrig und damit unwirksam, weil er unter Verletzung des Informationsanspruchs der Ratsmitglieder ergangen sei. Die Beschlussvorlagen ließen nicht erkennen, dass bereits mit der zweiten Nebenabrede eine Haftung für Eigenkapital begründet worden sei. Zudem werde nicht ersichtlich, dass auch die weitere Erhöhung eine Haftung für Eigenkapital umfasse. Schließlich sei die Auseinandersetzung über die Anteilseignerschaft verschwiegen worden. Den Eigenkapitalbezug habe die Beklagte hingegen wenigstens kennen müssen. Gleiches gelte für die Streitigkeiten zwischen der Arazim Investments Ltd. und der Honua Securities Co. Ltd. Ob auch andere Bedienstete ein Mitverschulden treffe, sei für die vorliegende Haftung unerheblich. Diese Pflichtverletzungen seien für den Schaden kausal gewesen. Durch die Pflichtverletzung sei der Klägerin mindestens ein Schaden in Höhe von 14,3 Mio Euro entstanden. Eine Vorteilsausgleichung oder sonstige anrechenbare Vorteile ließen den Anspruch nicht entfallen. Schließlich habe die Beklagte auch wirksam auf die Einrede der Verjährung verzichtet.
Das Verwaltungsgericht Köln hat in beiden Verfahren die Berufung zum Oberverwaltungsgericht Münster zugelassen.
Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 10.09.2020 – 19 K 4769/18 (Bundesstadt Bonn ./. Barbara Dieckmann)
Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 10.09.2020 – 19 K 4770/18 (Bundesstadt Bonn ./. Arnold Hübner)